Wie kann man - nicht mit einem 0815- sondern mit dem 10-5-Weg - simpel und wirkungsvoll eine Team- oder gar Unternehmenskultur zum Positiven wandeln? Mit dieser Frage beschäftigt sich Michael Tomoff in diesem Gastbeitrag!

Die Ritz-Carlton Hotel Kette ist ein Synonym für exzellenten Kundenservice geworden. Ihre Reputation für die Treue der Mitarbeiter und Kunden zur Marke ist mittlerweile so gut, dass viele Bücher über den Service des Hotels geschrieben wurden (z.B. Michelli, 2008).

Wie es scheint, aus gutem Grund.

Denn nicht etwa ist das Hotel so bekannt, weil deren Mitarbeiter so schöne Handtuch-Schwäne basteln und daneben die Pfefferminz-Leckerli platzieren. Auch nicht, weil die Schwimmbäder oder Saunen des Ritz-Carltons größer wären oder die Betten bequemer als die der Konkurrenz.

Nein, das Ritz-Carlton ist mittlerweile so berühmt für seinen Service, weil die Mitarbeiter nach einem eingängigen und gleichzeitig effektiven Code handeln: Stelle sicher, dass sich der Gast wertgeschätzt fühlt und übertreffe seine Erwartungen.

Herrlich unkonkret, finden Sie nicht? Denn wie genau stellt man denn sicher, dass sich ein Gast geschätzt fühlt? Was ist die damit verbundene Pflicht jedes Mitarbeiters der Hotelkette?

Der 10-5-Weg

Eine der geheimen Zutaten des Ritz-Carlton für herausragende Erlebnisse und Ergebnisse ist der 10-5-Weg. Er wird permanent und mit großem Erfolg angewandt und in jedem der Hotels des Ritz-Carlton gelebt. Die Mentalität, die hinter der Regel steckt, scheint ein perfektes Beispiel dafür zu sein, wie man ein ganzes Unternehmen mit einem positiven Eindruck, einer lächelnden Einstellung transformieren kann.

Wie funktioniert das Ganze?

Der 10-5-Weg beinhaltet nur ein paar einfache Verhaltensregeln, denen alle Mitarbeiter folgen sollen und deshalb auch darin geschult werden.

  1. Wenn ein Gast einem Mitarbeiter des Ritz bis auf zehn Schritte herankommt, nimmt der Mitarbeiter Blickkontakt auf und lächelt.
  2. Wenn der Gast bis auf fünf Schritte heran kommt, sagt der Mitarbeiter "Hallo".

Mehr nicht.

Es mag simpel sein, es ist aber nicht einfach. Die Forschung zeigt jedoch, dass bereits diese kleinen Maßnahmen  einen großen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterbindung und den Gewinn des Unternehmens haben.

Aber nicht nur Hotels können mit dieser Methode oder Haltung Erfolge feiern: auch die Jungs und Mädels bei Ochsner Health System (einem Non-Profit-Unternehmen in der Gesundheitsvorsorge-Branche) kam zu dem Schluss, dass auch sie die Leistung ihrer Krankenhäuser durch das Schaffen einer Atmosphäre und Umgebung von Freude, Wohlbefinden und Komfort verbessern wollten. Warum also nicht mit einer Methode von einem der bekanntesten Luxus-Franchises der Welt?

Auch Ochsner adoptierten also den 10-5-Weg.

Echt jetzt?

Ihnen sind möglicherweise beim Lesen die gleichen Fragen in den Kopf gekommen wie mir:

  • Werden die Mitarbeiter das Lächeln nicht als aufgedrückt empfinden? Es als eine falsche Maske tragen?
  • Werden Patienten und Personal das durch zusammengepresste Lippen gezwungene "Hallo" als nicht authentisch auffassen?
  • Können sich Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger überhaupt noch auf ihre Arbeit konzentrieren, wenn sie ganztägig grinsend und hallo sagend durch die Gegend schlawenzeln?
  • Werden "negative" Gäste sich absichtlich immer genau elf Schritte entfernt von allen anderen halten oder - um die Kollegen zu ärgern - zwischen fünf und sechs Schritten hin und hertänzeln, um sich wiederholt ein "Hallo" abzuholen?

Das, was auch viele Mitarbeiter der Krankenhäuser zuerst skeptisch betrachteten, wurde aber schon bald von sehr positiven Ergebnissen begleitet. Es waren keine kosmetischen Variationen, die nur von der wichtigen Aufgabe ablenkten, Leben zu retten. Selbst jene kritisch eingestellten Personen bemerkten eine Veränderung in sich, wenn nicht nur Kollegen, sondern bald auch sogar Patienten hallo sagten und ihnen zulächelten.

Was passierte?

Die normale und automatische Reaktion auf ein Lächeln oder ein Hallo ist üblicherweise ein Zurücklächeln oder -grüßen. Und genau das passierte auch in den Krankenhäusern, die den 10-5-Weg einsetzten: Ärzte lächelten (teils unbewusst) zurück, was alleine schon physiologische Veränderungen im Körper des Lächelnden in Gang setzt. Ein Anflug von nonverbaler Anerkennung und Wertschätzung beflügelte die Gänge, was wiederum die Arbeitsatmosphäre verbesserte (siehe z.B. auch Punkt 3 dieses Artikels).

Kurzum: das Verhalten war ansteckend.

Für Wissenschaftler wie Paul Marsden von der University of Sussex keine Überraschung.  Er schrieb schon vor der großen (ersten) Welle der Positiven Psychologie von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigten, dass nicht nur gähnen und lächeln ansteckend sind, sondern auch Emotionen wie Stress, Angst, Optimismus, Selbstbewusstsein, Langweile und Engagement (Marsden, 1998). Dank unserer Spiegelneuronen sind wir hochgradig für das Kopieren des Verhaltens unseres Gegenübers anfällig (das nennen die Psychologen übrigens den Chamäleon-Effekt).

Doch zurück zu unseren Krankenhäusern: Wie so häufig bei uns Menschen, wenn eine Mehrheit etwas ausführt, wurde der 10-5-Weg der "normale" Weg. Jene, die zuvorderst kritisch den Kopf geschüttelt hatten, wurden beinahe zu Anomalien in den  Krankenhäusern. Verständlich, denn ihr Verhalten (nicht zu lächeln oder hallo zu sagen) galt bald als unhöflich. Ein sozialer Druck, dem sich nur wenige länger widersetzen können oder wollen, so dass sich auch Skeptiker häufig schließlich anpassen und der Mehrheit folgen.

Das passierte auch bei den Krankenhäuser von Ochsner health System.

Die Folgen

Man mag annehmen, dass etwas so Triviales wie ein Lächeln oder ein Gruß keinen wirklichen Einfluss auf die Gesundheit hat. Dabei gibt es direkte Korrelationen zwischen Patientenzufriedenheit und positiven Ergebnissen wie z.B. der Geschwindigkeit, sich von Herzproblemen zu erholen (Reese, 2009).

Zahlreiche Studien zeigen, dass nicht die Ärzte ihre Ziele (die Gesundung ihrer Patienten) am besten bewerkstelligen, die über das größte Fachwissen verfügen, sondern die Ärzte zu den Besten zählen, die es schaffen, mit ihren Patienten eine Verbindung aufzubauen (Jha et al., 2008).

Für mich als Psychologen ist es deshalb immer wieder überraschend, wie wenig die Grundausbildung von Ärzten mit psychologischen Kenntnissen bestückt ist, von denen nicht nur die Ärzte selbst sondern ja auch deren Patienten und Kollegen profitieren könnten. Unter anderem insoweit, als dass Patienten, die eine gute Verbindung zu ihren Ärzten wahrnehmen, sich eher an deren Empfehlungen für Behandlungen halten oder für die lebenswichtigen Nachsorge-Termine erscheinen (Boulding et al., 2011).

Die $2.000-Regel

Zum Thema "persönliche Verbindung" möglicherweise für Sie ebenfalls interessant aus dem Hause Ritz-Carlton: die $2.000-Regel. Sie befähigt jeden Mitarbeiter, bis zu $2.000 zur Lösung eines Kundenproblems des Budgets auszugeben, ohne einen Manager um die Freigabe des Geldes zu bitten (und zwar nicht jährlich, sondern für jeden Fall!).

Wohl wissend, dass die meisten Unternehmen keine $2.000 für eine pro-Fall-Rettung ausgeben möchten oder können, ist die Lehre aus dieser Regel und auch dem 10-5-Weg eine recht eindeutige: Beide handeln von der Begeisterung, eine möglichst positive persönliche Beziehung mit dem Kunden zu beginnen und zu halten, anstatt einer finanziellen Beziehung nachzugehen und jede Möglichkeit auszuschöpfen, Geld aus dem Kunden zu ziehen. Unternehmen, die diese Art von Kundenbeziehung einschlagen, werden mit Loyalität und einer Kundenbeziehung belohnt, die weit mehr wert ist als jede finanzielle Transaktion für den Kunden - und auch für jeden Mitarbeiter eine Menge mehr Spaß bringt!

Bild: Wikipedia

Literatur

Boulding, W., Glickman, S. W., Manary, M. P., Schulman, K. A., & Staelin, R. (2011). Relationship between patient satisfaction with inpatient care and hospital readmission within 30 days. The American journal of managed care,17(1), 41-48.

Jha, A. K., Orav, E. J., Zheng, J., & Epstein, A. M. (2008). Patients' perception of hospital care in the United States. New England Journal of Medicine, 359(18), 1921-1931.

Marsden, P. (1998). Memetics and social contagion: Two sides of the same coin. Journal of Memetics-Evolutionary Models of Information Transmission,2(2), 171-185.

Michelli, J. (2008). The new gold standard: 5 leadership principles for creating a legendary customer experience courtesy of the Ritz-Carlton Hotel Company. McGraw Hill Professional.

Reese, Shelly: Patient Experience Correlates with Clinical Quality. In: Managed Healthcare Executive, Stand: 1.5.2009, http://goo.gl/mXcDm5 (Zugriff 3.6.2016)

Michael ist ebenfalls Diplom-Psychologe, Vortragender, Coach, vierfacher Autor und mit dem größten deutschsprachigen Blog für Positive Psychologie Experte in diesem Bereich. Er war lange Jahre lang in der Personaldiagnostik tätig. Humor, Scharfsinn, gute Beobachtungsgabe, der unnachahmliche Blick für Stärken und kreativer Pragmatismus finden sowohl in seinen Trainings und Coachings als auch in seinen Artikeln immer wieder Platz.