Auf dem Kund:innengehirn ist die Geschichte für wirtschaftlichen Erfolg eingeschrieben

Nahezu tagtäglich bietet die Beziehung zu unseren Kunden Überraschungen - leider nicht immer positive. Drei Beispiele:

  • Mit der Begründung wir wären zu teuer, lehnt der Kunde das Angebot ab und gibt dem Wettbewerber den Zuschlag.
  • Der Kunde eines Herrenaussstatters lässt sich eine dreiviertel Stunde beraten, bittet, darum fünf Bekleidungsstücke zurückzulegen, um dann nicht wiederzukommen.
  • Die Zufriedenheit mit der von allen Patient:Innen genutzten Kantine eines Krankenhauses wird von den Patienten:innen der Gastroenterologie negativ, von denen der Orthopädie hingegen positiv bewertet.

Betrachten wir dazu einmal die Reize, die Unternehmen senden. In jedem Moment werden die Sinne unserer Kund:innen regelrecht überflutet. Die sozialen Medien und Newsletter, Werbeanzeigen und TV-Spots, Prospekte und Kataloge, persönliche Verkaufsgespräche und Calls sind nur einige von vielen Flutwellen. Jeder Kunde baut sich aus diesen Flutwellen - und natürlich aus seiner Vergangenheit - seine eigene, vermeintlich unanfechtbare Wirklichkeit der Welt.

Ein Beispiel aus dem Mannschaftssport: Wenn der eigene Spieler vom Gegner hart attackiert wird, ist es ein Foul, welches mit dem Ruf nach der roten Karte untermauert wird, während ein ähnliches Foul durch den eigenen Spieler verursacht, nur eine Schwalbe des gegnerischen Spielers sein kann. Wahrnehmung und Handlungen sind individuell. Die eine Wahrheit, was auf der Welt passiert, kann es nicht geben!

Schauen Sie sich jetzt doch einmal die rotierenden Schlangen in der Abbildung1 an. Es ist ein statisches Bild. Trotzdem scheinen die Schlangen zu gleiten.

Wenn der Kunde die Dynamik wahrnimmt, also Schlangen sieht, die dahin gleiten, ist das seine Wirklichkeit, seine Wahrheit. Diese wahrgenommene Wirklichkeit führt dann zu Entscheidungen. Entscheidungen, die Unternehmer:innen und Manager:innen nicht verstehen können, wenn diese darauf beharren, dass die Schlangen sich gar nicht bewegen können. Es ist doch schließlich nur ein Bild!

Fixieren Sie jetzt einmal eine Schlange. Sie wird sich nicht mehr bewegen. „Dafür rotieren aber alle anderen Schlangen im Augenwinkel. Das hängt mit unseren zufälligen Augenbewegungen zusammen. Denn selbst wenn wir meinen, stur geradeaus zu blicken, bewegen sich die Augäpfel unmerklich und automatisch etwa drei Mal pro Sekunde, um die Umgebung zu scannen. Man kann seine Augen also nie stillstehen lassen.“2

Akzeptieren Sie noch mehr, als vielleicht bisher, dass Ihre Kund:innen eine andere Wirklichkeit erleben, als Sie selbst. Sie werden mit weniger unattraktiven Überraschungen in den Beziehungen mit ihren Kund:innen belohnt werden. Nicht nur die Lost-Order-Liste wird kürzer werden.
Viele wichtige Fragen und Herausforderungen in Marketing und Vertrieb können neu verstanden werden: wie Kund:innen unser Angebot wahrnehmen, warum Kund:innen sich für das technologisch schlechtere Angebot des Wettbewerbs entscheiden, wie wir unsere Kund:innen binden können, überhaupt was unsere Kund:innen für wahr halten und was Kund:innen dafür tun, um einen Mehrwert zu erzielen, ohne bewusst zu wissen, welcher Mehrwert für diese überhaupt von Bedeutung ist.

Frei nach dem Gehirnforscher David Eagleman3 formuliert: Auf den mikroskopisch kleinen Platinen des Kund:Innengehirns ist die Geschichte und Zukunft ihres wirtschaftlichen Erfolgs eingeschrieben. Dazu müssen wir aber akzeptieren, dass der vermeintlich rationale Mensch seine eigene Begrenzung seiner Wahrnehmung überwinden muss.

  1. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Peripheral_drift_illusion_rotating_snakes.svg
  2. Julian Schumann, in https://www.rnz.de/panorama/magazin_artikel,-da-stimmt-was-nicht-wie-leicht-sich-unser-gehirn-austricksen-laesst-_arid,305734.html - abgerufen am 16. Mai 2022
  3. David Eagleman: The Brain, 2019, S.7